Notwehr gegenüber der angehaltenen Zeit - mein Statement zur Kunst (Neufassung vom 19.6.05)

 

Kunst ist eine zeitlose, ihrem Anspruch nach unabhängige und an "immanenter Notwendigkeit" orientierte persönliche Botschaft. Sie bedarf eines existenziellen Bezuges, ohne den sie leicht belanglos wird. Der Künstler ist es, der diesen Bezug zunächst für sich entwirft, ihn vermittelt und dafür einsteht.

Akademisch ausgebildet bin ich als klinischer und forensischer Psychologe. Meine Tätigkeit als Künstler entwickelte sich unter anderem auf der Grundlage privater Studien sowie aus meiner Präsenz  als Psychologe im Strafvollzug. Der Notwendigkeit für eine totale, institutionalisierte Lebenswelt ein angemessenes Verständnis zu entwickeln, entspringen viele meiner bildnerischen Äußerungen.

Seit längerem beschäftigt mich zum Beispiel eine Folge von Tafelbildern unter einem Blickwinkel, der mir auch im Arbeitsfeld und Existenzraum „Gefängnis“ zugänglich ist. Der Blick auf Mauern bildet den ikonographischen Kontext in einer offenen Serie von Bildern.  Die ebene Mauerfläche, die den Blick in den Raum verstellt, aber dem Blick trotzdem eine Oberfläche bietet, wird zur Projektionsfläche. Die Objekte vor der Mauer projizieren ihren Schatten. Bewegung ist nur entlang der Mauer möglich. Links oder rechts, allenfalls von unten nach oben kann die Bewegung gehen, nicht aber in die Tiefe. Hinter der Mauer erstreckt sich der Bereich des “Nicht-kennens”, der Spekulation, von dem Betrachter ausgeschlossen ist und doch insgeheim vordringen möchte. Die Mauer umgrenzt einen Bereich : Besitzbereich, Einflussbereich, Funktionsbereich. Sie grenzt diesen Bereich von der weiteren Umgebung ab. Zur Mauer gehört notwendig das Tor, die Einfahrt, der Durchgang von drinnen nach draußen oder umgekehrt. Insofern eine Mauer den inneren Bezirk gleichzeitig definiert und verbirgt zeigt sie ihre grundsätzlich ambivalente Bedeutung.

Die Mauer selber zeigt sich dem Betrachter als Fläche, Träger von Spuren- Beschädigungen, Zerfallsspuren, evtl. Grafities. Sie ist eine von Menschenhand geschaffene Begrenzung, im Gegensatz zur Natur stehend. Sie versinnbildlicht  insofern Zeit und in negativer Konnotationen auch Repression .

Das Subjekt vor der Mauer schenkt ihr erstaunlich wenig Beachtung. Es eilt vielleicht an ihr entlang. Nimmt  sie als Objekt der Gewöhnung als gegeben in Kauf. Als Träger von Appellen vermag sie andererseits Beachtung geradezu “erzwingen”und das Subjekt “funktionalisieren”.

Den Existenzraum Gefängnis erkenne ich als Sinnbild für Zeit- und Sinnentwertung, die Menschen als Möglichkeit ebenso gegeben ist, wie ihnen die Fähigkeit zur Sinnschöpfung innewohnt.

Wo menschliche Fähigkeiten brach liegen, verkümmert Verantwortungsbewußtsein, gewinnt "materialistischer Egoismus" die Oberhand. Die Eindämmungsmechanismen, die sich gegenüber  "barbarischen" Qualitäten meist rigide konstellieren, vermögen das Übel moralischer Defizite , Beziehungslosigkeit und daraus resultierender Absurdität nicht zu lindern. Sie können auch nicht die verzweifelt vermisste Geborgenheit vermitteln, die nur dem sich in Freiheit entwickelnden Individuum in seinem eigenschöpferischen Sinn-und Wertebezug vergönnt ist.

Manche Blickwinkel, die mir in diesem Arbeitsfeld und Existenzraum „Gefängnis“ zugänglich sind, treiben mich an, diese als psychologische und zugleich als eine künstlerische Aufgabe zu bewältigen und in meine Ideenwelt zu integrieren. So ist der Sinnbezug der "Ungeborgenheit" bei aller versöhnlich gemeinten  Ästhethik, um die ich mich bemühe, ein übergreifender Aspekt meiner Bilder und gleichsam mein persönlicher Appell für "Freiheit" und "Verantwortung" als ideelle Voraussetzungen von geistiger Geborgenheit.

 

Mein Interesse gilt dem Ineinandergreifen von Malerei, Zeichnung, Monotypie, Montage & Collage, sowie computergenerierter Kunst im Bereich der Tafelbildnerei. Die Möglichkeiten von Foto-Grafik bis digitaler Collage dienen mir als Ergänzung des Skizzenmaterials für Malerei und sind für mich aber auch eigenständige, graphische Medien.

Die kreative Voraussetzung von Kunst erscheint mir als eine Art "Pirschen und Träumen" , als ein inneres Nachgehen von Bildgedanken und erkunden von Blickwinkeln auf der "inneren Leinwand der Fantasie". Ich widme mich diesem in der Zielsetzung offenen Prozess, bei dem eine "Erkundung der Oberfläche von Dingen" und ein "Hineintreten ins eigene Innere" stattfindet.

Als Künstler erfahre ich die "Mediengesellschaft" mit  ihren Mechanismen, die den Zugang zum Kunstmarkt bestimmen bislang undurchlässig und selektiv.  Eine zum Teil noch "unreife" Kunst von Künstlern bis 35 erfährt Förderung, durch möglicherweise auch nicht unbedingt immer sehr reife Förderer. Manches "private piece" erlangt vielleicht Bekanntheit und "public pieces" verschwinden wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein oder geraten unter den Wischmop der Putzfrau. Auch hervorragende Kunst ist keine Mangelware. Private Kunstsammler und Kunstförderer sind selten, öffentliche Förderung kaum vorhanden.

In diesen Verhältnissen entwickelt sich im Kunst schaffen weiterhin ein Kernbereich meines Lebens.

Bin ich somit Künstler und verfüge ich als sogenannter Autodidakt über jemandes Bestätigung darüber? Nein. Doch ohne Verächter von Anerkennung zu sein, ist mir vieles auch suspekt, was wegen dieser Bestätigung unternommen wird und was bisweilen dabei herauskommt.

Von meiner subjektiv erlebten künstlerischen Identität, die mich dazu, bringt mit bildnerischen Mitteln Aussagen zu formulieren, meine eigene Position zu reflektieren und bildnerisch transparent zu machen entbindet mich der Beruf des Psychologen bisher nicht . 

Überraschende Wirkungen sind das Salz in der Suppe des Lebens und  der Kunst. Meine Tätigkeit als Psychologe und meine Erfahrungen als Künstler bilden für mich ein kontrastreiches Wechselspiel, das mich im dialektischen Prozess der Kunst  Bilder weiter entwickeln lässt, die mich auch durch die Wechselfälle des  Lebens hindurch bisher nicht loslassen  .

 

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